Werner HeisenbergWeltenbummler zwischen Wissenschaft und Politik

Kurzbeschreibung 

Werner Heisenberg, eines der berühmtesten Genies der Weltgeschichte, wirkte nicht nur in der Wissenschaft, sondern versuchte auch, an den Rändern der Politik Macht und Einfluss auszuüben.

Wissenschaft und Politik – diese beiden Berufs- und Tätigkeitsfelder werden gemeinhin als völlig unterschiedliche Sphären begriffen.

In der Politik, so eine gängige Meinung, gehe es um Macht, Intrigen und Privilegien. In der Wissenschaft herrsche indessen ein anderes Ethos vor, das sich der Suche nach Wahrheit, nach Erkenntnisgewinn, dem Wege zu neuem Wissen verschrieben habe. In der Politik sei vieles irrational, wohingegen die Wissenschaft strenger Rationalität unterworfen sei.

Der berühmte Kernphysiker Werner Heisenberg, dessen Geburtstag sich 2011 zum 110. Mal jährt und der zwischen 1946 und 1958 in Göttingen lebte, forschte und lehrte, bewegte sich an der Schwelle zwischen diesen beiden Gebieten. Dabei verhielt er sich mitunter sehr politisch, stets durchsetzungsstark und zielstrebig.

Werner Heisenberg: Blitzkarriere als Quantenphysiker

Doch eigentlich präsentiert sich Heisenberg dem historischen Beobachter als ein Vertreter der Wissenschaft par excellence.[1] Am 5. Dezember 1901 in Würzburg geboren, wuchs er in München auf, wo er das elitäre Maximiliansgymnasium besuchte. Nach seinem Abitur absolvierte er eine akademische Turbokarriere: Im Alter von 21 Jahren war er 1923 promoviert, ein Jahr später hatte er sich habilitiert. Anschließend lehrte und forschte er inmitten der pulsierenden Kernphysikzentren jener Zeit: Göttingen, Kopenhagen, Leipzig und Berlin.

Binnen kurzer Zeit avancierte er mit gerade einmal 26 Jahren zum jüngsten Lehrstuhlinhaber des Deutschen Reiches – immer der Beste, stets der Schnellste. Bereits 1932 ließ ihm die Wissenschaftswelt die honorigste ihrer Auszeichnungen zuteilwerden: den Nobelpreis für Physik. Mit seinen Formeln und Theorien gehörte Heisenberg in jungen Jahren zu den Urvätern der Quantenmechanik, welche die moderne Physik revolutionierte.

Heisenberg war ein geradezu fanatischer Denker und Forscher.[2] In seinem Genius paarten sich Fleiß und Konzentrationsfähigkeit, die ihm zu Höchstleistungen verhalfen. Kaum eine Sekunde verging an einem Heisenberg’schen Arbeitstag, an dem seine Gedanken nicht um das Atom kreisten. Wenn er dabei war, scheinbar unauflösliche Probleme zu lösen, war er von Freude und Glück erfüllt. Seine Frau Elisabeth jedenfalls musste sich damit arrangieren, dass ihr Mann in mancher Nacht schweißgebadet aufschreckte, weil ihm die naturwissenschaftlichen Gedanken wieder einmal den Schlaf geraubt hatten.

Werner Heisenbergs Ambitionen trieben den Forscher an die Ränder der großen Macht-Politik

Jedenfalls: Allen Erfolgen zum Trotz wollte Heisenberg forschen, immer weiter forschen. Sein „Kerngebiet“ war seit Ende der 1930er Jahre die atomare Energiegewinnung – damals der letzte Schrei der Naturwissenschaften. Während des Zweiten Weltkriegs konzentrierte er sich unablässig auf das Ziel, einen „Uranbrenner“ zum Laufen zu bringen – eine Art prähistorischen Atomreaktor. Doch in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 scheiterten seine Versuche – zu seinem Glück, denn vermutlich wäre seine Konstruktion explodiert und hätte ihn zusammen mit seinen Mitarbeitern in den Tod gerissen.

Heisenberg aber entsprach trotz der genannten Marotten und seiner Genialität nie dem verbreiteten Stereotyp des selbstvergessenen, im Elfenbeinturm abgeschotteten Wissenschaftlers. Vielmehr zeigte er etliche Qualitäten, die auch zum Instrumentarium eines versierten Politikers gehören. So wusste er Rivalen – zumeist ähnlich genial veranlagte Denker – geschickt zu sabotieren und konsequent aus dem Weg zu räumen.

Während des Zweiten Weltkriegs nutzte er seinen Einfluss, um eine konkurrierende Forschungsgruppe des Kernphysikers Kurt Diebner daran zu hindern, die wissenschaftliche Leitung im deutschen Atomprojekt zu erlangen. Durch eine Intrige stürzte er Diebner von der Spitze des Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik und wurde selbst Direktor.[3] Auch suchte er knappe Rohstoffe wie Uran von Diebner fernzuhalten; dass dieser eine Reaktorkonstruktion ausgetüftelt hatte, die Heisenbergs Modell überlegen war, interessierte dabei nicht. In den 1950er Jahren nutzte Heisenberg dann seine Führungspositionen in diversen Gremien und Forschungsorganisationen, um sich begabte Konkurrenten vom Leibe zu halten – und natürlich musste auch Diebner wieder büßen, der unter dem Einfluss Heisenbergs nie zu einer Professur kommen sollte.

Außerdem wusste sich Heisenberg stets machtvolle Verbündete zu suchen. Im „Dritten Reich“ wandte er sich an den „Reichsführer-SS“ Heinrich Himmler, um sich gegen Diffamierungen nationalsozialistisch gesinnter Wissenschaftler zur Wehr zu setzen.[4] Doch ihren Höhepunkt erreichte seine wissenschaftspolitische Karriere erst in den 1950er Jahren. Die britischen Besatzungsbehörden hatten Heisenberg nach Göttingen beordert – eine zunächst glückliche Fügung, war die niedersächsische Universitätsstadt doch im Gegensatz zu den meisten anderen urbanen Gebieten vom Bombenkrieg weitgehend verschont, waren die Universitätsgebäude unzerstört geblieben und bot sich dort ein für jene Zeit annehmliches Lebensumfeld.

Dennoch befanden sich Heisenberg und seine andernorts gelandeten Kollegen damals in einer misslichen Situation: Viele ihrer einstigen Forschungsstätten lagen in Trümmern, obendrein betrieb man experimentelle Kernphysik inzwischen mit gigantischen Anlagen, deren Beschaffung und Betrieb Millionensummen verschlangen. Also wandte sich Heisenberg an den Regierungschef der neuen Republik, Konrad Adenauer. In kurzer Zeit avancierte er von Göttingen aus zum Chefberater des neuen Kanzlers in wissenschaftlichen Fragen.[5] In seinem Haus in der Merkelstraße 18 schmiedete er Pläne für die Zukunft der westdeutschen Wissenschaft. Eine ganze Zeitlang waren die beiden ein ideales Gespann: Heisenberg, der angesehene und famose Experte, und Adenauer, der beschlagene Politiker und Machtträger. Und beide profitierten voneinander: Der Kanzler konnte seine forschungspolitischen Maßnahmen mit dem Rat Heisenbergs rechtfertigen, der Wissenschaftler auf die politische Unterstützung Adenauers hoffen.

Werner Heisenberg und Konrad Adenauer: von politischen Verbündeten zu Gegnern

Denn der Kanzler stellte dem ambitionierten Kernphysiker ein Forschungszentrum in Aussicht. Heisenberg schwebte eine Großanlage vor, wie seine US-amerikanischen und britischen Kollegen wollte er big science betreiben – am liebsten in München, seiner Heimatstadt.[6] Doch jäh kam alles anders. Adenauer entschied 1955 gegen Heisenbergs Willen, siedelte das Zentrum bei Karlsruhe an, fernab der bajuwarischen Bergidylle, um Baden-Württemberg und vor allem der württembergischen CDU einen politischen Gefallen zu erweisen.

Heisenberg lehnte daraufhin die wissenschaftliche Leitung des neuen Kernforschungszentrums ab und ging mit seinem Göttinger Institut nach München. Außerdem blieb die finanzielle Unterstützung des Bundes weit hinter Heisenbergs Erwartungen zurück. Der Kanzler und sein Finanzminister sparten in den Jahren der Wiederbewaffnung nämlich nicht für Laboratorien und Teilchenbeschleuniger, sondern für Kasernen und Panzer.[7] Der einige Jahre lang beiderseits lukrative Austausch funktionierte nun nicht mehr. Heisenberg war der Politik verdrossen, hatte kein Verständnis für Adenauers politische Kalküle und Manöver.

Nun allerdings zeigten sich die politischen Qualitäten des Physikers: Heisenberg begann, die Politik der Bundesregierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu verunglimpfen: in Interviews, Artikeln, Reden.[8] Allerorten ließ er verlautbaren, wie nachteilhaft die Wissenschaftspolitik des Kanzlers und seines Kabinetts doch für die Entwicklung des Landes sei. Darüber hinaus nahm er im Bundestag zu einer fraktionsübergreifenden Parlamentsgruppe Kontakt auf, die er für kontroverse Debatten mit reichlichen Argumenten gegen die Regierungspolitik versorgte.

Kurzum: Heisenberg suchte Politik zu machen, ohne sich selbst in die Politik zu begeben, sich um die Organisation demokratischer Mehrheiten zu scheren oder sich der Kritik der Öffentlichkeit auszusetzen. Durch persönlichen Kontakt zu entscheidungsrelevanten Personen strebte er jenseits regulärer Pfade nach Einfluss, diskreditierte politische Gegner, organisierte sich eine parlamentarische pressure group. Ein reiner, gänzlich seinem Forschungsmaterial gewidmeter Wissenschaftler war er somit keineswegs.

Doch wie so oft bei politischen Quer- oder Beinaheeinsteigern stärkte der Wandel zwischen den beiden Welten nicht das gegenseitige Verständnis, sondern verhärtete Vorurteile oder rief sogar Verständnislosigkeit hervor. Für Heisenberg war die Politik mitsamt ihren Protagonisten unbegreiflich behäbig, schwer verständlich, zu „objektiv“ richtigen Entscheidungen nahezu unfähig. Andersherum zeigte sich Adenauer über die politischen Interventionen des Experten Heisenberg verärgert, betrachtete diesen als einen weltfernen Naivling.[9]

Jedenfalls: Beide waren Repräsentanten zweier Welten, die sich in mancher Verhaltensweise zwar ähnelten, sich aber schon nach kurzer Zeit entfremdet hatten. Keiner von beiden wollte sich auf die Charakteristika, Vernunftvorstellungen und Marotten des jeweils anderen und dessen Metier einlassen. Die Gewohnheiten und Logiken beider Herkunftsbereiche, das jeweilige Streben, die vertrauten Muster auch im anderen Gebiet anzuwenden, verhinderten gegenseitiges Verständnis und vertieften das beiderseitige Misstrauen.

Sein Hang zu wissenschaftlicher Rationalität sowie seine Vorliebe für die autoritäre Entscheidung verhinderten, dass sich Heisenberg in der Politik zurechtfand. Ende der 1950er Jahre verließ der Nobelpreisträger Göttingen, in das er schließlich nur auf Geheiß der Briten gekommen war und aus dem er während seiner Jahre dort stets hatte weggehen wollen.[10] Es zog ihn in seine bayerische Heimat. In München fand er zudem bessere Forschungsbedingungen vor – durch seine Entscheidung verlor Göttingen daraufhin das renommierte Max-Planck-Institut für Physik, das wohl aufgrund von Heisenbergs Sehnsucht nach alpiner Idylle seither seinen Standort in München hat.

Dieser Text erschien in leicht veränderter Fassung zuerst in dem Band „Göttinger Köpfe und ihr Wirken in die Welt“ (Göttingen 2012, Vandenhoeck & Ruprecht, herausgegeben von Stine Marg und Franz Walter).

Anmerkungen

[1] Zum Folgenden vgl. Fischer, Ernst Peter: Werner Heisenberg. Das selbstvergessene Genie, München/Zürich 2002, S. 92; Hermann, Armin: Werner Heisenberg mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 2007, S. 12 f.; Metzler, Gabriele: Kernphysik und Politik. Werner Heisenberg in der Wissenschafts- und Zeitgeschichte. Ein Forschungsbericht, in: Historisches Jahrbuch, Nr. 115 (1995), S. 208-222, hier S. 210.

[2] Zu diesem Absatz siehe Heisenberg, Elisabeth: Das politische Leben eines Unpolitischen. Erinnerungen an Werner Heisenberg, München/Zürich 1980, S. 23, S. 44 ff. u. S. 106 ff.

[3] Vgl. vgl. Hattrup, Dieter: Carl Friedrich von Weizsäcker. Physiker und Philosoph, Darmstadt 2004, S. 31 ff. u. S. 39; Herbig, Jost: Kettenreaktion. Das Drama der Atomphysiker, München/Wien 1976, S. 129 f.; v. Weizsäcker, Carl Friedrich: Farm Hall und das deutsche Uranprojekt. Ein Gespräch, in: Hoffmann, Dieter (Hg.): Operation Epsilon. Die Farm-Hall-Protokolle oder Die Angst der Alliierten vor der deutschen Atombombe, Berlin 1993, S. 331-360, hier S. 332, S. 350 u. S. 342-346.

[4] Vgl. Hammerstein, Notker: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur 1920-1945, München 1999, S. 336-342; Heisenberg. Das Schicksal eines Physikers im NS-Staat, in: Kultur & Technik, H. 4/1995, S. 28.

[5] Vgl. Hermann, Armin: Werner Heisenberg. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg

1994, 97 f.; Radkau, Joachim: Der atomare Ursprung der Forschungspolitik des Bundes, in: Weingart, Peter/Taubert, Niels C. (Hg.): Das Wissensministerium. Ein halbes Jahrhundert Forschungs- und Bildungspolitik in Deutschland, Weilerswist 2006, S. 33-63, hier S. 37.

[6] Zum Folgenden vgl. Vgl. Jordan, Hermann L.: Großforschung in der BRD – Probleme der Institutionalisierung. Mobilität und Kontrolle, in: Küppers, Günter/Stichel, Peter/
Weingart, Peter (Hrsg.): Wissenschaft zwischen autonomer Entwicklung und Planung – Wissenschaftliche und politische Alternativen am Beispiel der Physik, Bielefeld 1981, S. 179-200, hier S. 182; Brief Heisenberg an Gerlach vom 20.06.1949, in: Gerlach, Walther: Walther Gerlach (1889-1979). Eine Auswahl aus seinen Schriften und Briefen, hg. von: Bachmann, Hans-Reinhard/Rechenberg, Helmut, Berlin u.a. 1989, S. 237; Gleitsmann, Rolf-Jürgen: Im Widerstreit der Meinungen: Zur Kontroverse um die Standortfindung für eine deutsche Reaktorstation (1950 – 1955). Ein Beitrag zur Gründungsgeschichte des Kernforschungszentrums Karlsruhe und zu einem Kapitel deutscher Kernenergiegeschichte, Stuttgart 1986, S. 12 f.; Hermann 2007, S. 108.

[7] Vgl. Marschner, Peter: Die Argumentation in der Kontroverse um den sogenannten „Juliusturm“, Dissertation, Marburg 1964, S. 93; Pagels, Wilhelm: Der „Juliusturm“. Eine politologische Fallstudie zum Verhältnis von Ökonomie, Politik und Recht in der Bundesrepublik, Dissertation, Hamburg 1979, S. 59 f.

[8] Siehe zu diesem Aspekt u.a. Fischer, Peter: Atomenergie und staatliches Interesse: Die Anfänge der Atompolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1955, Baden-Baden 1994, S. 242-246; Heisenberg, Werner: Gesammelte Werke. Collected Works, hrsg. von: Blum, Walter/Dürr, Hans-Peter/Rechenberg, Helmut, Band 5, München 1989, S. 162-175.

[9] Siehe Brief Adenauer an Heuss vom 17.04.1957, abgedruckt in: Morsey, Rudolf/Schwarz, Hans-Peter (Hrsg.): Konrad Adenauer. Briefe 1955-1957, Berlin 1998, S. 319.

[10] Vgl. Gleitsmann 1986; Heisenberg, Werner: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik, München 1976, S. 257; Schirrmacher, Arne: Wiederaufbau ohne Wiederkehr. Die Physik in Deutschland nach 1945 und die historiographisch Problematik des Remigrationskonzepts, Arbeitspapier des Münchner Zentrums für Wissenschafts- und Technikgeschichte (2005), S. 3 ff.