Zur politischen Karriere von Robert Habeck (Grüne)

Kurzbeschreibung 

Wieder eine von diesen kurzlebigen Politexistenzen, von denen man eine Zeitlang fulminante Beschreibungen liest und die dann mit einem Male verschwinden; oder etwa doch ein Name, den man sich merken sollte? Wie der Grüne Robert Habeck wichtig geworden, was von ihm zu erwarten ist und inwiefern er einen neuen Typus von Politiker darstellt.

Porträtaufnahme von Robert Habeck, lächelnd vor einem Gebäudeeingang.

Karriere

Robert Habeck, geboren im September 1969 in Lübeck, waschechtes Nordlicht, gehört zu den politischen Blitzkarrieristen der letzten Jahre. Im Unterschied zu Seiteneinsteigern begann er seine politische Arbeit zwar nicht gleich in hoher Funktion, durchlief jedoch die innerparteilichen Stationen in atemberaubender Schnelligkeit: 2002, also mit 33 Jahren, zum Kreisvorsitzenden gewählt, war er nur zwei Jahre später bereits Landesvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein; mit seinem Landtagsdebüt 2009 ging sogleich der Fraktionsvorsitz einher, wiederum nur drei Jahre später amtierte er dann als stellvertretender Regierungschef und Landesminister.

Eine solche Blitzkarriere ist zwar nicht beispiellos – auch Manuela Schwesig von der SPD oder Ursula v.d. Leyen von der CDU stiegen in Windeseile auf –; aber sie ist doch erklärungsbedürftig.

Als promovierter Germanist und Buchautor hatte Habeck zum Zeitpunkt seines Einstiegs in die Politik zwar schon eine beachtliche non-politische Karriere vorzuweisen, war in Partei- und Parlamentsarbeit jedoch ein blutiger Anfänger. Solche unüblichen Karrieretypen haben schon immer eine große Faszinationskraft auf die politischen Berichterstatter ausgeübt – und so war es auch bei Habeck.

Von Beginn an stach er aus der Masse der Berufspolitiker heraus: ein willkommener Exot, der angesichts einer weitgehend gleichförmigen Politikelite sofort mediale Aufmerksamkeit auf sich zog. Und er hatte ja auch hierfür prädestinierte Eigenschaften mitgebracht: der verwegene Charme des Schriftstellers mit vier Kindern und einer ebenfalls berufstätigen Partnerin, Sängerin einer Band, auf deren Konzert Habeck sich von der Bühne in die Menge fallen lässt. Überhaupt hätte er damals äußerlich auf dem CD-Cover einer Rockgruppe keinesfalls deplatziert gewirkt – wie viele Vertreter der Politikelite hätten das schon von sich behaupten können?

Dann ist da aber noch die entschlossene Attitüde des Anti-Politikers, der sich den Regeln des professionellen Politikbetriebs nicht nur entzieht, sondern widersetzt, der sein Lebensmodell mit „Vaterarbeit“[1] vehement verteidigt, der sich von Politik nicht seinen Tagesablauf und seinen Lebenswandel diktieren lassen, aber dennoch auf hoher Ebene mitmischen will. Jemand, der eine Gratwanderung anstrebt und den man bei diesem Experiment mit Neugier verfolgt.

Immer wieder betonte Habeck gegenüber Journalisten und Zuhörern auf Veranstaltungen, dass sein Alltag zum großen Teil nun einmal darin bestehe, „Kindern den Hintern abzuwischen, die Hausaufgaben durchzugucken, einzukaufen und den Fußboden zu wischen“[2]. Eine Karriere in Berlin vertrage sich daher nicht mit „dem mühevoll eingerichteten Leben von meiner Frau und mir“; man könne ja „nicht vier Kinder zeugen und sich danach aus dem Staub machen, um Bundesvorsitzender zu werden“.[3] Natürlich weiß Habeck dabei, dass dies vor ihm schon etliche Politiker getan haben. Politik, so Habecks eindeutige Botschaft, habe bei ihm keinen absolutistischen Stellenwert.

Ein neuer Typus von Politiker

Mit seinen begrenzten Ambitionen und dem erklärten Vorrang der Lebensqualität gegenüber dem Karrierestreben verkörpert Habeck einen neuen, modernen Politiker-Typus. Einen, der sich sehr stark vom früheren Berufspolitikertum eines Helmut Kohl, Helmut Schmidt oder Franz Josef Strauß abhebt. Dieser neue Typus ist nicht mehr bereit, sein Leben – und darin involvierte Sozialbeziehungen – rücksichtslos in den Dienst der Politik bzw. in Machtgewinn und Machterhaltung zu stellen.

Während bei jemandem wie Kohl, der in einem enormen Ausmaß drastische Opfer an Gesundheit, Familie und Freizeit erbracht hatte, eine freiwilliger Abkehr von der Politik geradezu verrückt geschienen hätte, ist das bei einem Politiker à la Habeck völlig anders: Ein Ausstieg aus dem Politikbusiness, der ja letztlich schnell ein Eingeständnis des Scheiterns bedeuten kann, ließe sich in seinem Fall immer anders deuten: nämlich als biografische Episode, ein irgendwie dann doch gelungener Ausflug in interessante Gefilde, auf den man letztlich stolz sein darf. Erleichtert würde dieser Gedanke durch die zuletzt gestiegene Anzahl von Persönlichkeiten, die in verhältnismäßig jungem Alter den Dienst in der Politik quittiert haben – Philipp Rösler oder Daniel Bahr etwa – und damit geholfen haben, einen solchen Schritt zu normalisieren; mit zunehmender Häufigkeit solcher Fälle schwindet das Stigma des Versagens.

Politiker, die ihr Privatleben in der Öffentlichkeit erwähnen, machen sich oft verdächtig, ihre Familie und ihr Lebensmodell zu Karrierezwecken zu instrumentalisieren, mit Erzählungen aus ihrem Alltag um Popularität zu buhlen. Habeck indes war über jeden Zweifel an seiner Authentizität erhaben, kaum jemand unterstellte ihm politische Inszenierungsabsichten.[4] Auch dies ist ein erklärungsbedürftiges Phänomen. Ob nun Habeck in probater Manier sein Privatleben in die Öffentlichkeit gestellt hat, um sich gezielt als unkonventionelle Alternative zu normalen Berufspolitikern zu präsentieren, oder ob er tatsächlich dem Bild entspricht, das er in der Öffentlichkeit vermittelt hat, lässt sich freilich nicht mit Gewissheit feststellen.

Gleichviel: Sicherlich lässt sich zumindest davon ausgehen, dass für Habeck daraus ein sympathisches Image entsprungen ist, das ihm zu Zuspruch unter den Wahlberechtigten verholfen hat. Habeck: Ein Mann, der sich nicht verbiegen lassen will, der sich gegen die Zwänge des politischen Betriebs wehrt, indem er sich weigert, Auftreten, Aussagen und Familienleben an die Gepflogenheiten der Profipolitik anzupassen – ein Anti-Politiker also, in Zeiten akuter Politikerverdrossenheit.[5]

Dass Habeck 2006 nicht in den Bundesparteivorstand der Grünen gewählt wurde und er dies auf seine Meidung der Bundeshauptstadt und ihres bundespolitischen Mikrokosmos zurückführte („Die Partei hat sich gegen den Freigeist und für den Funktionär entschieden.“[6]), bestätigte und zementierte dieses Bild von Habeck – einem erfrischend unkonventionellen Politiker, der ganz offenbar seine Ideen und Ideale nicht politischen Karrierezielen opfert, sondern umgekehrt persönliche Nachteile in Kauf nimmt, um sich nicht deformieren zu lassen.

Außerdem hat Habeck gemeinsam mit seiner Frau mehrere Jugendbücher verfasst – beweiskräftiges Zeichen seiner beruflichen Unabhängigkeit von der Politik, somit ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gegenüber zahllosen Politikern. Zu seiner Glaubwürdigkeit trug auch bei, dass er zugunsten seiner Familienpflichten angeblich auf eine Universitätskarriere verzichtet und auch einige Jobangebote von Verlagen ausgeschlagen hatte. Außerdem postulierte Habeck ein Politikverständnis, dessen Prinzip vermutlich bei vielen Deutschen auf Zustimmung stieß: Er wolle in der Politik seine Ziele unabhängig von Partei- oder Lagergrenzen verfolgen, wolle sich dazu je nach Bedarf geeignete Partner suchen, um drängende Probleme anzugehen.

Darin schwang natürlich der unterschwellige Vorwurf an konventionelle Politik mit, dies normalerweise nicht zu tun; der Vorwurf also, sich in der politischen Arbeit zumeist von programmatischen Schranken oder oberflächlichen Aversionen leiten zu lassen, statt sich auch mal über politische Profilierungsinteressen hinwegzusetzen, eben als Grüner auch mal mit der CDU im Rahmen eines Projekts zusammenzuarbeiten – zugunsten des vielbeschworenen Allgemeinwohls, nicht aber einer verschrobenen Parteidoktrin.

Wahlkampfheld

Und natürlich hatten die angeschlagenen Schleswig-Holstein-Grünen – darin liegt eine weitere Ursache dieser Erfolgskarriere – mit Robert Habeck ein unverbrauchtes, jugendliches, irgendwie cooles Gesicht, das sich auf Wahlplakaten, im Fernsehen oder bei Wahlkampfveranstaltungen einfach gut machte: einen in allen Belangen vorzeigbaren Kandidaten also, der im politischen Konkurrenzkampf mit den angeschlagenen Volksparteien gerade recht kam.

Und Habecks Übernahme des Landesparteivorsitzes bei den schleswig-holsteinischen Grünen im Jahr 2004 fiel dann auch zeitlich zusammen mit deutlich besseren Wahlergebnissen: So verzeichnete die Landespartei bei der Bundestagswahl 2009 an den Wahlurnen einen Zweitstimmenzuwachs von rund 59.000 Voten gegenüber der Wahl vier Jahre zuvor (von 144.712 auf 203.782), was gleichbedeutend mit einem Plus von 4,3 Prozentpunkten und der erstmaligen Überquerung der magischen Marke eines zweistelligen Stimmenanteils war (von 8,4 auf 12,7 Prozent). Bei der Landtagswahl 2009 erreichten Habecks Grüne mit 12,4 Prozent ein Sensationsergebnis, mit dem sie ihr Zweitstimmenresultat im Vergleich zur Vorwahl relativ und absolut verdoppelten (von 6,2 auf 12,4 Prozent und von 89.387 auf 199.367 Stimmen), die Anzahl der Parlamentssitze sogar verdreifachten (von vier auf zwölf). Bei der vorgezogenen Landtagswahl 2012 erreichten die Grünen unter Habecks Spitzenkandidatur dann 13,2 Prozent und schafften es an der Seite der SPD außerdem zur Regierungspartei (wobei: Sie verloren zwei Landtagsmandate und erhielten 24.414 weniger Zweitstimmen). Gleichgültig, welcher Anteil an diesen Triumphen jeweils konkret Habeck zukam, war die Partei in die Erfolgsspur geraten – und das zählte.

Einer wie Habeck passte zwischen 2004 und 2012 einfach in die schleswig-holsteinische Politik: Jemand, der die von mutmaßlich vielen Wahlberechtigten verächtlich kritisierten Mechanismen der Politik einfach missachtet, ja der sie verändern will und dafür auch nicht vor Niederlagen zurückschreckt. Jemand, der ganz anders ist als die graue Masse der Berufspolitiker. Frischer Wind, Flair, Siegertyp usw. Seinen Exotenstatus nutzte er, um sich landesweit ins Gespräch zu bringen, um seinen zuvor völlig unbekannten Namen im politischen Bewusstsein potenzieller Wählerinnen und Wähler einzuschreiben.[7] Unermüdlich tingelte er durch das Küstenland, war allerorten präsent und gab sich gegenüber den Medien als mitteilungsfreudiger Gesprächspartner. Kurz: Habeck nutzte die Gelegenheit, die sich ihm damals bot, um von einem absoluten No-Name zu einem der prominentesten Landespolitiker zu avancieren und dabei auch immer stärker in eine bundesweite Öffentlichkeit zu treten.

Und dann kam die Ernüchterung

All das setzte natürlich einen gewissen Ehrgeiz und große Energiereserven voraus. Und er ging an Habeck dann doch nicht spurlos vorüber, der Balanceakt zwischen fortschreitendem Karriereerfolg und den Ansprüchen an sein Privatleben. Denn spätestens als er beschloss, in der exponierten Position des stellvertretenden Ministerpräsidenten in die rot-grüne Regierung in Kiel einzutreten, gefährdete er die bisherige Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Durch die zunehmende Arbeitsbelastung eines Landesministers und die zumindest teilweise Aneignung typischer Profipolitikerfloskeln nahm seine Aura des politischen Freigeists und Anti-Politikers schließlich beträchtlich ab. Zunehmend wirkte er in den Presseberichten abgekämpft und müde, der Eindruck eines enthusiastischen Newcomers, eines frechen Ideengebers und unverwüstlichen Querdenkers machte er nun nicht mehr wie noch wenige Jahre zuvor.

Gewiss war er inzwischen auch etwas desillusioniert worden. Die politische Arbeit ging ganz entgegen seiner guten Vorsätze dann doch auf Kosten der Familienzeit;[8] und entgegen einer vorübergehenden Euphorie wurde er dann doch nicht zum zweiten Winfried Kretschmann, schaffte es nicht zum grünen Ministerpräsidenten im Norden, nachdem er dieses Prestigeamt im Rausch der Umfragewerte vielleicht für einen kurzen Moment für greifbar gehalten hatte. Aber Habeck ist dadurch politisch gereift, hat anstrengende Wahlkämpfe absolviert, Beleidigungen ertragen, den Medienfokus ausgehalten, den Regierungsalltag verinnerlicht – allesamt wichtige Erfahrungen, die ein Spitzenpolitiker irgendwann einmal gemacht haben sollte. Als Glücksfall erwies sich für Habeck hierbei seine politische Umgebung: Im rhetorischen Wettstreit mit dem Sozialdemokraten Ralf Stegner sowie Wolfgang Kubicki von der FDP hatte er im Landtag gleich zwei schlagfertige Sparringspartner,[9] an denen er seine politischen Fähigkeiten trainieren konnte – solche politischen Gegner finden sich nicht in allen Landtagsparlamenten der Republik.

Fazit

Kurz: Robert Habeck profitierte bei seinem Einstieg in die Politik vom Image des Anti-Politikers; sein Verhalten stimmte mit seinen Aussagen überein, er strahlte das faszinierende Ungewohnte aus; seine Wirkung basierte dabei v.a. auf einem starken Kontrast zum konventionellen Politikerbild; zudem repräsentierte er einen neuen Typus von Politiker, der sich vom absolutistischen Stellenwert der politischen Arbeit zugunsten seines Privatlebens abkehrt; Habeck profitierte aber auch vom akuten Personalbedarf der schleswig-holsteinischen Grünen, der seinen Weg an die Parteispitze deutlich erleichterte und beschleunigte; ferner konnte er an politischen Gegnern wie Stegner oder Kubicki politisch reifen.

Prognose

Robert Habeck hat sich in extrem kurzer Zeit in seiner Partei etabliert; für einen Profipolitiker ist sein Alter noch immer gering; dies und seine Ausstrahlungskraft in der Öffentlichkeit machen ihn für die Zukunft zu einem attraktiven Anchorman der Grünen. Außerdem hat er mit der Energiewende ein zukunftsträchtiges, ja elementar wichtiges Thema besetzt, bei dem er sich ein öffentlich sichtbares Profil erarbeitet hat. Ein Karriererückschlag droht eher von Habeck selbst auszugehen: Nämlich dann, wenn er die Lust an der politischen Arbeit verliert, auch mit Rücksicht auf sein Familienleben – denn Habeck, so scheint es, gehört jenem Politikertypus an, der im Unterschied zum Typus Helmut Kohl nicht grenzenlos bereit ist, sich und seine Angehörigen der politischen Karriere unterzuordnen.

Anmerkungen

[1] Habeck zitiert nach Pergande, Frank: Karriere machen und den Abwasch?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.08.2008.

[2] Robert Habeck zitiert nach Lang, Susanne/Unfried, Peter (Interview mit Robert Habeck): „Ich brauche kein Vaterverdienstkreuz“, in: die tageszeitung, 06.07.2007.

[3] Habeck zitiert nach Lang, Susanne (Interview mit Robert Habeck): „So etwas wie das Zölibat der Grünen“, in: die tageszeitung, 18.03.2008.

[4] Siehe beispielhaft Pergande, Frank: Kämpferisch und anders, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.04.2012.

[5] Dazu Beste, Ralf: Eine Frage der Coolness, in: Der Spiegel, 30.04.2012.

[6] Habeck zitiert nach Wengierek, Martina: „Die Partei hat sich gegen den Freigeist entschieden“, in: Kieler Nachrichten, 04.12.2006.

[7] Siehe hierzu u.a. Unfried, Peter: Kein Arschloch hinter dem Kuhschwanz, in: die tageszeitung, 08.01.2013; Honnigfort, Bernhard: Ein Grüner, der neue Stromtrassen baut, in: Berliner Zeitung, 03.06.2013.

[8] Vgl. hierfür Exner, Ulrich: Der verliehene Mann, in: Welt am Sonntag, 15.04.2012; Unfried, Peter: Kein Arschloch hinter dem Kuhschwanz, in: die tageszeitung, 08.01.2013.

[9] Dazu Pergande, Frank: Trotzig gegen die „flüssige Demokratie“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.04.2012.